Der Begriff Epigenetik kommt aus dem Altgriechischem (epigénesis) und bedeutet „dazu/außerdem“ und „Abstammung/Ursprung“. Während sich die Genetik als Wissenschaft mit der Vererbung und Ausbildung von Merkmalen (Genen) beschäftigt, widmet sich die Epigenetik der Frage, welche Faktoren die Aktivität eines Gens festlegen. Dabei untersucht sie Veränderungen in der Genexpression, welche nicht auf Sequenzänderungen der DNA, z.B. durch Mutationen oder Rekombination, beruhen. Epigenetische Mechanismen sind also nicht in der Lage unsere DNA-Sequenz (Genotyp) zu verändern (Bird 2007). Vielmehr bestimmen sie, welche Gene aktiviert und in Proteine umgewandelt werden oder welche Gene „stummgeschaltet“ werden. Damit beeinflussen die maßgeblich die Ausbildung des Phänotyps (Gesamtheit aller morphologischen und physiologischen Merkmale) (Margueron et al. 2010).
Die wichtigsten epigenetischen Mechanismen, die an der Entwicklung und Differenzierung verschiedener Zelltypen beteiligt sind:
- microRNA (nicht-kodierende RNAs)
- Histonmodifikation
- DNA-Methylierung (DNA-Methylierung ist ein epigenetischer Mechanismus, bei dem die Anlagerung von Methylgruppen an die DNA die Funktion von Genen modifiziert, indem sie deren Expression (meist) durch Hemmung der Transkription beeinflusst) (Randunu 2020)
Welchen Einfluss nimmt unsere Ernährung auf das Epigenom?
Gut dokumentierte historische Hungerepisoden wurden von der Wissenschaft genutzt, um den Zusammenhang zwischen pränatalem Ernährungsstress und dem Risiko für chronische Krankheiten im Erwachsenenalter durch Querschnitts- und Längsschnittstudien zu untersuchen. Dadurch wurde herausgefunden, dass die mütterliche Ernährung während der Perinatalperiode (Zeitraum zwischen der 28. SSW und dem 7. Tag nach der Geburt) einen großen Einfluss auf den späteren Phänotypen der Kinder hat. So verringerte die pränatale Hungerexposition das fetale Wachstum, reduzierte die Glukosetoleranz im Erwachsenenalter und führte zu einem höheren BMI sowie Taillenumfang bei Frauen. So konnte nachgewiesen werden, dass die Ernährung globale Methylierungswerte an genregulatorischen Regionen modulieren kann (Navarro 2017).
Wie können epigenetische Mechanismen das Risiko für die Entwicklung einer NCD modulieren?
NCD steht für Non-communicable Diseases (nicht-übertragbare Krankheiten) und ist ein Überbegriff für lebensstil-assoziierte Erkrankungen, wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Adipositas, Bluthochdruck und neurodegenerative Erkrankungen. NCDs gehören heutzutage zu den häufigsten Todesursachen weltweit und haben damit die Infektionskrankheiten abgelöst.
Neben einer genetischen Komponente gibt es verschiedene Risikofaktoren für die Entwicklung einer NCD, welche alle mit dem individuellen Gesundheitsverhalten zusammenhängen:
- körperliche Inaktivität
- Übergewicht
- Rauchen
- inadäquate Ernährung
- Alkoholabusus
Würden diese Risikofaktoren durch Verhaltens- und Verhältnisprävention in den verschiedenen Lebensphasen beseitigt, könnte ein Großteil der Inzidenz von NCDs verhindert werden (Forouzanfar et al. 2016). Durch Globalisierung, Industrialisierung und soziale sowie wirtschaftliche Veränderungen der letzten Jahrzehnte haben sich weltweit neue, schädliche Ernährungs- und Aktivitätsmuster ausgebildet, die maßgeblich zur Entwicklung von nicht-übertragbaren Krankheiten beitragen (Darnton-Hill et al. 2004).
Die Ernährung nimmt bereits vor der Geburt, besonders in der fetalen und neonatalen Periode, einen Einfluss auf das Risiko für die Entwicklung einer NCD. So kann die mütterliche Ernährung während der Fetal- und Säuglingszeit und in der frühen Kindheit den Stoffwechsel dauerhaft programmieren und damit den Weg für die Entwicklung einer NCD ebnen (Navarro et al. 2017). Neben anderen Ursachen spielt die Epigenetik dabei eine führende Rolle (Lillycrop et al. 2015, McGee et al. 2018, Vickers 2014).
Epigenetische Veränderungen finden bereits während der Bildung von Geschlechtszellen (Gametogenese) statt, allerdings bleiben nicht alle bestehen. Jedoch „überleben“ einige methylierte Stellen der DNA die Gametogenese und die frühe Entwicklung und replizieren sich während der Mitose (Fan et Zhang, 2009, Trasler 2009). Die markierte DNA wird dann zusammen mit den Histonen weitergegeben, also vererbbar gemacht (Guibert et al. 2012). So können markierte DNA-Stellen die Genexpression während des gesamten Lebens modulieren. Dazu kommen die epigenetischen Veränderungen, welche vor und auch nach der Geburt entstehen und ebenfalls bei der Zellteilung erhalten bleiben (Skinner 2011). Dadurch können früh erworbene epigenetische Störungen während der Entwicklungsphase unverändert bis ins Erwachsenenalter fortbestehen.
Die perinatale Periode (Zeitraum zwischen der 28. SSW und dem 7. Tag nach der Geburt) stellt ein kritisches Fenster in der Entwicklung dar, da das Epigenom dann für Modifizierungen am anfälligsten ist. Zusätzlich bleiben alle epigenetischen Veränderungen, die in dieser Phase auftreten, bis ins Erwachsenenalter stabil (Perera et al. 2011). Die Forschung über den Zusammenhang bestimmter Nahrungsinhaltsstoffe und deren epigenetischen Auswirkungen während der Perinatalperiode befindet sich noch recht am Anfang. Jedoch gibt es erste Tier- und auch Humanstudien, welche sich auf Folat und Cholin konzentrieren. Diese zählen zu den Methyl-Donatoren und sind wichtige diätetische Nährstoffe, da sie im Methyl-Stoffwechsel eine große Rolle spielen.
So beeinflusst ein Folatmangel die frühe epigenetische Programmierung über seine Rolle bei der Remethylierung zu Methionin. Wenn zu wenig Folat vorhanden ist, kann die Methylversorgung während der Entwicklung nicht aufrechterhalten werden (Crider et al. 2012). Deswegen ist es wichtig einen ausreichenden Folatspiegel während der Schwangerschaft zu gewährleisten.
Cholin ist ein wichtiger methylverwandter Nährstoff, welcher entscheidend bei der Entwicklung des zentralen Nervensystems mitwirkt. Die mütterliche Nahrungsaufnahme mit Cholin beeinflusst also die Neurogenese (Craciunescu et al. 2003), aber auch die die Bildung von Endothelzellen und Blutgefäßen im fetalen Gehirn (Mehedint et al. 2010). In Tierstudien an Mäusen und Ratten wurde beobachtet, dass eine hohe mütterliche Cholinzufuhr die fetale Histonmethylierung und die epigenomischen Mechanismen günstig modifiziert (Davison et al. 2009).
Wie lassen sich ungünstige, epigenetische Modifikationen durch die Ernährung verändern?
Epigenetische Veränderungen stellen plastische genomische Prozesse dar, die von endogenen und exogenen Faktoren (z.B. durch Ernährung) beeinflusst werden. Wie weiter oben beschrieben können diese Modifikationen, positive wie negative, von Generation zu Generation weitergegeben werden. Jedoch ist es anscheinend möglich diejenigen epigenetischen Modifikationen, die mit hohem Erkrankungsrisiko einhergehen, durch Ernährungs- oder Lebensstiländerungen „umzuprogrammieren“ (González-Becerra et al. 2019).
In der Forschung werden mehrere Nahrungsinhaltsstoffe als epigenetische Modifikatoren diskutiert, darunter Aminosäuren, Vitamine und Mineralien, Polyphenole sowie Fettsäuren.
- Fettsäuren
Wie bereits weiter oben erwähnt, findet momentan ein Wandel unserer Ernährung statt. Besonders das Profil der Fettsäuren-Aufnahme ist dabei stark betroffen. Es bilden sich globale Ernährungsmuster aus, die durch eine hohe Aufnahme an gesättigten Fettsäuren (SFA) und trans-Fettsäuren (TFA) sowie durch einen niedrigen Gehalt an einfach ungesättigten (MUFA) und mehrfach ungesättigten Fettsäuren (PUFA) geprägt sind (Cordain et al. 2005). Diese Ernährungsmuster sind mit ungünstigen epigenetischen Veränderungen assoziiert (Morgen et Sørensen 2014).
Noch gibt es wenig Humanstudien, die sich mit den protektiven Eigenschaften von Fettsäuren auf das Epigenom, beschäftigen. Jedoch gibt es erste Hinweise, dass eine Ernährung, welche reich an Omega-3-Fettsäuren ist, mit einem geringeren Risiko für die Entwicklung einer Stoffwechselerkrankung einhergeht. Die Literatur zeigt, dass dieser Effekte durch epigenetische Mechanismen vermittelt werden könnte (González-Becerra et al. 2019).
- Polyphenole
Unter den bioaktiven Verbindungen pflanzlichen Ursprungs, die epigenetische Modifikationen vermitteln, sind Genistein (Sojabohnen), Resveratrol (Weintrauben), Curcumin (Kurkuma), Teekatechine (grüner Tee) und Sulforaphan (Kreuzblütler) zu nennen. Auch hier sind die tatsächlichen Auswirkungen von Polyphenolen in der Nahrung auf die DNA-Methylierung beim Menschen noch nicht abschließend erforscht (Milagro et al. 2013).
- Vitamine und Mineralien
Verschiedene Mineralstoffe wurden mit Veränderungen der epigenetischen Mechanismen, die die Genexpression regulieren, in Verbindung gebracht. Darunter sind u.a. Selen, Zink (Ho et al. 2011) und Magnesium (Takaya et al. 2011). Noch können keine Dosierungsempfehlungen zur Behandlung verschiedener Erkrankungen gegebenen werden. Allerdings sollte auf eine ausreichende Zufuhr dieser Nährstoffe geachtet werden, insbesondere bei vegetarischer Ernährung.
- Aminosäuren
Die Aminosäure, die bei epigenetischen Mechanismen eine große Rolle zu spielen scheint, ist Methionin, die Hauptquelle von Methyl-Gruppen in Biomethylierungsreaktionen und der Schlüsselregulator des Ein-Kohlenstoff-Stoffwechselweges (McKay et Mathers 2011). Aber auch der Stoffwechsel anderer Aminosäuren (Serin, Glycin und Histidin) spielt eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Methyl-Donatoren für die DNA- und Histon-Methylierung (Wang et al. 2012). Veränderungen im Kreislauf mehrerer essentieller Aminosäuren, insbesondere Methionin, Cystein, Tyrosin, Phenylalanin werden offenbar mit Adipositas und Insulinresistenz in Verbindung gebracht und treten sogar vor dem Auftreten von Typ-2-Diabetes auf (Adams 2011).
Literaturverzeichnis
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