Die Wurzeln des Yoga liegen in Indien, wo es seit ca. 3.000 Jahren Teil der traditionellen spirituellen, philosophischen und psychologischen Praxis ist. Traditionell betrachtet ist Yoga keine Religion und mehr als nur eine spirituelle Richtung: Vielmehr handelt es sich beim ursprünglichen Yoga um eine Lebensweise, die von ethischen und spirituellen Regeln und Ratschlägen für das Leben geprägt ist, mit dem ultimativen Ziel Körper, Seele und Geist zu vereinen (Feuerstein 1998). So ist primäre Ziel beim Yoga nicht irgendeine Körperakrobatik zu vollbringen, sondern durch regelmäßige Praxis, Gewahrsein, Konzentration und Selbstdisziplin mehr Präsenz, Freude und Lebendigkeit im Augenblick zu erfahren.
Seit dem Kontakt der westlichen Welt mit der indischen Yoga-Philosophie, ist Yoga in den USA und Europa zu einem beliebten Mittel zur Förderung des körperlichen und geistigen Wohlbefindens geworden und hat auch die Aufmerksamkeit von GesundheitsforscherInnen erregt.
Patañjali, als „Vater des Yoga“, hat die sog. Yogasutren (Leitfaden des Yoga) verfasst und auch der Großteil der modernen Yogaschulen unterrichten zumindest zum Teil nach den von Patañjali definierten „Gliedern des Yoga“ (Feuerstein 1998).
Aus der obenstehenden Tabelle wird deutlich, dass sich klassisches Yoga aus vielen verschiedenen Aspekten zusammensetzt. Heutzutage und in der westlichen Welt wurde Yoga für den Einsatz in der komplementären und alternativen Medizin modifiziert. Im klinischen Umfeld und in Yogaschulen kommt es häufig zu einer Kombination aus körperlichen Haltungen (Asanas), Atemtechniken (Pranayama) und Meditation (Dyana), was einen recht körperlichen Ansatz darstellt (De Michelis 2005).
Aus Liem 2009: Osteopathy and (Hatha) Yoga, Journal of Bodywork and Movement Therapies 2011; 15 (1), 92-102.ForscherInnen interessieren sich zunehmend für Yoga als Zusatztherapie, z.B. bei lebensstilbedingten Erkrankungen, Depressionen und Brustkrebs, da Yoga Bewegung und Entspannung miteinander vereint.
Yoga-Forschung
- Yoga und Psyche
Psychischer Stress geht mit einem Ungleichgewicht des autonomen Nervensystems (ANS) einher, das durch eine verminderte Aktivität des Parasympathikus (v.a. der N. vagus) und eine erhöhte Aktivität des Sympathikus gekennzeichnet ist. Zusätzlich kommt es bei Stressexposition zu einer Unteraktivität des hemmenden Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure (GABA).
Man nimmt an, dass Yoga die allostatische Last in den Stressreaktionssystemen reduzieren kann und somit die optimale Homöostase wiederherstellen kann, indem es den Vagus-Nerven stimuliert, was zu einer Normalisierung des GABA-Systems führen kann.
Besonders bei den Krankheitsbildern Depression, Epilepsie, posttraumatische Belastungsstörung (PTSD) und chronischen Schmerzen spielt Stress eine zentrale Rolle. Charakteristisch für diese Zustände ist eine geringe Aktivität des Parasympathikus sowie des GABA-Systems, welche sich durch yoga-basierte Interventionen harmonisieren lassen. Daher wird angenommen, dass Yoga die Funktion in denjenigen Regionen des Gehirns verbessern kann, die die Reaktion auf Bedrohung regulieren, wie z.B. Bedrohungswahrnehmung, Interozeption, Angstverarbeitung, Emotionsregulation und Verteidigungsreaktionen.
Insgesamt kann man also sagen, dass Yoga nicht nur die Flexibilität des Körpers fördert, sondern auch die zentralen Regulationssysteme im Gehirn.
Die harmonisierende Wirkung von Yoga auf den Parasympathikus liegt in der yogischen Atmung begründet, welche in den unterschiedlichsten Yoga-Praktiken angewendet wird.
Unsere Emotionen beeinflussen maßgeblich unseren Atem. Bewusst gesteuerte Atemmuster beeinflussen das gesamte ANS (Streeter et al 2012).
Dies ist mittlerweile durch Studien gut belegt: Brown und Gerbarg erbrachten den Nachweis darüber, dass Yoga-Atmung (v.a „Coherent Breathing“, „Resonant Breathing“ und „Ujjayi“) die Herzratenvariabilität erhöhen, das sympatho-vagale Gleichgewicht verbessern und die Stressresilienz fördert (Brown & Gerbarg 2005, 2009).
Die Cortisolspiegel und GABA-Spiegel im Gehirn sind biologische Marker für
Stress (Pike et al 1997). Bei Depressionen, PTBS und Epilepsie werden erhöhte Cortisolspiegel, was auf eine erhöhte Aktivität der HPA-Achse hindeutet, und eine verminderte Aktivität des GABA-Systems gefunden. Studien deuten darauf hin, dass Yogainterventionen die stressinduzierte allostatische Belastung in drei stressreaktiven Systemen (ANS, HPA-Achse und GABA-System) reduzieren können (Streeter et al 2012).
- Yoga und Bluthochdruck
Neben der medikamentösen Behandlung der Hypertonie, werden PatientInnen auch Lebensstilmodifikationen, wie Ernährungsumstellung und vermehrte körperliche Aktivität, empfohlen. Aufgrund der recht einfachen Durchführbarkeit und starken Betonung der Entspannung stellt Yoga eine gute Alternative zu den konventionellen Übungsprogrammen und Lebensstilinterventionen (z.B. Herz-Kreislauf-Training) dar.
Bereits in den 1970er Jahren konnten Patel und North zeigen, dass Yoga einen blutdrucksenkenden Effekt haben kann (Patel & North 1975). Jedoch waren neuere Studien nicht in der Lage diesen Effekt signifikant zu reproduzieren. Dennoch schnitten Yoga-Interventionen genauso gut ab wie z.B. Stretching (Hagins et al 2014).
Studien belegen die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit durch Yoga (Cramer 2015), weswegen es durchaus als Lebensstilintervention bei Bluthochdruck empfohlen werden kann.
Der dahinterstehende Wirkmechanismus hat ebenfalls mit der Regulierung des autonomen Nervensystems zu tun. Ein Ungleichgewicht in Richtung des Sympathikus kann den Blutdruck erhöhen und zur Entstehung von Bluthochruck beitragen. So eine Überfunktion des sympathischen Zweiges des ANS ist häufig mit chronischem Stress assoziiert. Wie bereits oben dargestellt, wird angenommen, dass Yoga das GABA-System und den Parasympathikus aktivieren und so der stressinduzierten Überaktivität des Sympathikus entgegenwirken kann (Cramer 2015). Hierbei scheint es so, dass die langsame yogische Atmung, Entspannung und Meditation stärker für die parasympathische Aktivierung verantwortlich sind und als die Asanas (Köperhaltungen) (Markil et al 2012).
- Yoga und Übergewicht
In einer randomisierten, kontrollierten Studie wurde der Effekt von Yoga auf den Taillenumfang (primärer Outcome) sowie auf das Verhältnis von Taille zu Hüfte, das Körpergewicht, den BMI, den Körperfettanteil, den Anteil der Körpermuskelmasse, den Blutdruck, die gesundheitsbezogene Lebensqualität, das Selbstwertgefühl, den subjektiven Stress, die Körperwahrnehmung sowie die Sicherheit der Intervention (als sekundäre Endpunkte) untersucht. Nach Beendigung der 12-wöchigen Yogaintervention hat sich der Bauchumfang bei Patientinnen in der Interventionsgruppe signifikant um 3,8cm im Durchschnitt verringert, ohne die Anwendung einer kalorienreduzierten Diät. Außerdem wurden weitere, moderate Unterschiede beim Taille/Hüfte-Verhältnis, Körpergewicht, BMI, Körperfettanteil, Anteil der Körpermuskelmasse, psychischem und physischem Wohlbefinden, Selbstwertgefühl, subjektivem Stress, Körperbewusstsein und Vertrauen in Körperempfindungen beobachtet (alle signifikant). Die ForscherInnen schlossen daraus, dass Yoga eine sichere und effektive Technik für die Normalisierung des Körpergewichts darstellt (Cramer et al 2016).
- Yoga und chronische Schmerzen
In einer Meta-Analyse aus dem Jahr 2013 konnte gezeigt werden, dass Yoga einen positiven Einfluss auf untere Rückenschmerzen nimmt. 10 Studien mit einer Gesamt-Teilnehmerzahl von rund 1.000 PatientInnen wurden in die Analyse eingeschlossen. Yoga zeigte sowohl Kurzzeit-, als auch einen Langzeiteffekte auf Schmerzen sowie funktionelle Einschränkungen (Holger et al 2013). Yoga als isometrische Bewegungsform kann also muskuloskelettalen Schmerzen entgegenwirken. Was das Yoga dabei von anderen Bewegungstherapien unterscheidet, ist die bewusste Ausführung der Asanas, ohne dabei den Gedanken freien Lauf zu lassen. Vielmehr wird im Yoga auch der Geist mit in die Praxis einbezogen, indem bewusst der Muskeltonus und die Gelenkpositionen wahrgenommen werden. Dadurch wird die Aufmerksamkeit (bzw. Interozeption) für den eigenen Körper trainiert, was dazu beiträgt, Fehlhaltungen auch außerhalb der verbrachten Zeit auf der Matte zu bemerken und zu korrigieren, um damit Schmerzen entgegenzuwirken. So kann Yoga zu einer verstärkten Schmerzakzeptanz beitragen (Cramer 2017).
- Yoga und Krebs und Fatigue-Syndrom
Aufgrund der positiven Wirkungen auf Stress und psychische Belastung wird Yoga zunehmend in der begleitenden Krebstherapie angewendet. Ein hochwertiger Review der Cochrane Collaboration konnte zeigen, dass Yoga die Lebensqualität fördern und das Fatigue-Syndrom verbessern kann. Ausgewertet wurden dabei die Daten von ca. 2100 Patientinnen mit Mammakarzinom (Cramer et al 2017).
Yoga und Osteopathie
Obwohl historisch gesehen viele Unterschiede zwischen Yoga und der Osteopathie bestehen, gibt es auch große Überschneidungen. Die wohl bedeutendste Gemeinsamkeit stellt die Annahme dar, dass Körper, Geist und Seele eine Einheit bilden und der Zugang zu dieser Einheit der Körper ist.
Während die Osteopathie ein manuelles Behandlungskonzept mit Fokus auf die Gesundheitsförderung im Organismus darstellt, basieren traditionelle Yogaformen (Hathayoga und Yoga nach Patanjali) auf der individuellen Erfahrung von Gewahrsein und Transzendenz. Dies soll durch eine regelmäßige Praxis, Verantwortung und Einsicht von LehrerIn und SchülerIn gefördert werden. Bei osteopathischen Behandlungen bleiben die PatientInnen eher passiv und die Verantwortung liegt bei der behandelnden Person (Liem 2009).
Für eigenes inneres Wachstum ist es essentiell sich mit den prägenden Faktoren der Körperlichkeit auseinanderzusetzen, um diese zu verstehen, zu akzeptieren und zu integrieren.
Dazu zählen u.a.:
- Prä- und perinatale Erlebniswelten
- Gesundheitszustand der Eltern
- physikalische und neurobiologische Wirkmechanismen
- das familiäre, emotionale, historische, kulturelle und gesellschaftliche Umfeld und die biosoziale Umwelt, in denen wir aufwachsen und leben
- Geburtserfahrungen sowie besonders die ersten Lebensjahre
- Ernährung
- Krankheiten, Unfälle, psychische Traumata
- Lern- und Arbeitsbedingungen
All diese Faktoren beeinflussen unseren Körper und seine Physiologie, unsere Art zu fühlen, zu denken und unsere Wahrnehmung der Welt. Darüber hinaus manifestieren sich Gefühls-, Gedanken- und Glaubensmuster auch in unserem Körper. So zeigt jeder Mensch je nach den Erfahrungen, die er gesammelt hat, ganz spezifische Körpermerkmale, -haltungen und
-verspannungen. Richtig angewendet unterstützen Yoga und Osteopathie den Organismus dabei abnorme chronische Körperspannungen und Fehlhaltungen zu dekonditionieren, indem limitierende Gefühls-, Gedanken- und Glaubensmuster sanft integriert werden.
Im Yoga geschieht dies durch die Verbindung von Asanas mit bewusster Atmung und innerem Fokus, welche die inneren Ressourcen aktivieren und es ermöglichen flexibler mit dem Leben umzugehen. In einer osteopathischen Behandlung werden Dysfunktionen gefunden und behandelt, was nicht nur einen Einfluss auf den Körper nimmt. Potenziell werden auch assoziierte Energie-Bewusstseins-Muster behandelt und integriert.
Aus diesen Gründen stellt Yoga als Selbsterfahrungssystem eine wertvolle Bereicherung für die Osteopathie als medizinisches Behandlungssystem dar (Liem 2009).
Tiefergehende Informationen über das Verhältnis von Osteopathie und (Hatha-)Yoga finden Sie hier: Osteopathie und (Hatha-)Yoga
Welche Yogaform ist die richtige für mich?
Hier finden Sie eine kurze Übersicht von einigen im Westen praktizierte Yoga-Arten:
Anusara Yoga
- Exakte Körperausrichtung in fließenden Bewegungsabfolgen (weniger dynamisch als Vinyasa-Flow) werden mit lebensbejahender Tantra-philosophischer Ausrichtung gelehrt.
- Jede Stunde beginnt mit einem kurzen Vortrag.
- Geeignet für Anfänger und Fortgeschrittene.
Bikram Yoga
- Hier werden eine Abfolge von 26 Körperhaltungen bei hoher Raumtemperatur (38-40 °C) geübt.
- Gefördert werden Koordination, Dehnung, Kraft, Konzentration und durch das Schwitzen die Entgiftung.
- Geeignet für gesunde Menschen, die sich körperlich fordern, Gewahrsein üben und schwitzen möchten.
Hatha-Yoga
- Techniken des Hatha Yogas beginnen am Körper (Asanas) und führen dann weiter über den Atem (Pranayama) zum Geist (Meditation).
- Aus den ursprünglichen Lehren des Hatha-Yoga haben sich so gut wie alle anderen Stile entwickelt.
- Geeignet für AnfängerInnen, da meist langsame und entspannte Übungen durchgeführt werden.
Iyengar Yoga
- Der Fokus liegt hier auf die Ausübung sehr präziser statisch gehaltener Asanas.
- Es werden häufig Hilfsmittel wie Klötze und Gurte genutzt.
- Auch Pranayama findet Anwendung.
- Geeignet für Menschen, die präzise Körperarbeit suchen.
Kundalini-Yoga
- Übungsreihen für bestimmte
- Yoga-Form, bei der Chanting, Atemübungen, Meditation und Asanas kombiniert und je nach Stunde zu einem Überthema variiert unterrichtet werden.
- Mantren und Gesänge und religiöser Hintergrund entstammen der Tradition der Sikh, einer indischen Glaubensgemeinschaft.
- Geeignet für Menschen, die Wert auf eine spirituelle Komponente legen.
Sivananda Yoga
- Es werden neben Asanas und Pranayama, meist auch Meditationen und Lehren mit religiösem hinduistischem Hintergrund unterrichtet.
- Die Körperübungen sind wenig dynamisch; häufig kommt die Rishikesh-Reihe, das sind zwölf festgelegte Asanas, zur Anwendung.
- Geeignet für Einsteiger, die sich zur hinduistischen Philosophie hingezogen fühlen.
Trauma orientiertes Yoga
- Von speziell ausgebildeten Yoga-LehrerInnen für traumatisierte Menschen oder Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung.
- Ähnlich wie im Yin-Yoga liegt der Fokus auf Entschleunigung, Entspannung und Ruhe.
- Geeignet für traumatisierte oder sehr gestresste Menschen.
Vinyasa-Flow oder Power-Yoga
- Dynamische Yoga-Form, bei der die Bewegungen mit der Atmung synchronisiert werden
- Fordert den Körper und beruhigt den Geist
- Nur kleiner Meditationsanteil
- Geeignet für Menschen, die eine fordernde, dynamische und kraftvolle Yogapraxis suchen.
Viniyoga
- Therapeutisches Yoga, in der sehr individuell auf den Einzelnen eingegangen wird.
- Meist in Einzelstunden oder Kleingruppen gelehrt.
- Langsames Yoga, in der Asanas sich nicht als Yoga-Stil, sondern als Anpassung der Yogapraxis an die Ziele und Möglichkeiten des einzelnen Übenden.
- Es beinhaltet individuell angepasste Asanas, sowie Atemübungen und Meditation
- Geeignet für Menschen mit weniger Fitness und körperlichen Einschränkungen.
Yin-Yoga
- Asanas werden mehrere Minuten in sehr ruhiger Ausführung und mit kaum Muskelanspannung gehalten, um Bindegewebe und Muskulatur nachhaltig zu dehnen, tiefe Entspannung zu lernen und den Geist zu trainieren. Sehr ruhige Ausführung
- Wird häufig als Ausgleich zu dynamischen Yogarichtungen ausgeübt.
- Geeignet für Anfänger und zur Entspannung und als Ausgleich dynamischer Yogapraktiken.
Grundsätzlich ist es, wenn man mit Yoga beginnen möchte, ratsam sich einen Lehrer oder eine Lehrerin mit langjähriger Erfahrung bzw. ein etabliertes Studio zu suchen. Viele Krankenkassen bieten zum Beispiel zertifizierte Einstiegs-Yoga-Kurse an.
Literaturverzeichnis
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