Zusammenfassung
Studien zur Existenz regulärer Lymphgefäße in den duralen Sinus, zur Blut-Hirn-Schranke und zum Immunprivileg des ZNS führen zu neuen klinischen Konklusionen. Anhand der neuen Erkenntnisse zur Liquorforschung und zur Drainage des Gehirns werden mögliche osteopathische Zugänge dargestellt, z.B. herzfokussierte Palpation, osteopathisches „felt sense“, Techniken für Zisternen, Kompression des 3. und 4. Ventrikels (CV-3, CV-4), Kompression der Seitenventrikel, Duratechniken, Lymphpumpe, OA-Release, osteopathische Lymphdrainage, Drainage der Nase, des Auges, des Ohres, der Hirnnerven und oberen Zervikalnerven.
Schlüsselwörter
Blut-Hirn-Schranke, Liquor cerebrospinalis, Lymphgefäße, durale Sinus, osteopathische manipulative Behandlung, osteopathische Lymphdrainage
Keywords
Blood brain barrier, cerebrospinal fluid, lymphatic channel, dural sinus, osteopathic manipulative treatment (OMT), osteopathic lymph drainage
Blut-Hirn-Schranke mit speziellem Fokus auf die Perizyten
Die Blut-Hirn-Schranke (BHS) stellt laut Sá-Pereira et al. (2012) eine komplexe und dynamische Schnittstelle dar, die sich aus verschiedenen Zellen zusammensetzt und eine funktionelle Einheit, die neurovaskuläre-Einheit (NVE), bildet. Dazu zählen Endothelzellen, die Basalmembran, Astrozyten, Perizyten und Neuronen. Möglicherweise beeinflussen auch Mikroglia und Oligodendrozyten die Funktion der BHS und somit neurodegenerative und immunologische Prozesse (Sá-Pereira et al. 2012).
Perizyten sind nicht nur maßgeblich an der Instandhaltung und Stabilisation der BHS beteiligt, sondern scheinen auch bei der Entwicklung der Blutgefäße eine wichtige Rolle zu spielen. Perizyten weisen außerdem kontraktile Elemente auf, die möglicherweise die Blutzirkulation in den Mikrogefäßen des Gehirns beeinflussen können. Außerdem berichten Sá-Pereira et al. (2012) über mögliche immunologische und phagozytotische Einflüsse sowie über die Rolle der Perizyten in der Homöostase. In mehreren Studien konnte festgestellt werden, dass die Perizyten funktionell multipotente Stammzellen sind.
Lymphgefäße im Gehirn
Bis 2015 war Forschungsstand, dass im ZNS ein klassisches Lymphdrainagesystem fehle. Eine Studie von Louveau et al. (2015) konnte jedoch zeigen, dass außerhalb des Hirnparenchyms reguläre Lymphgefäße in den meningealen Membranen existieren. Obwohl es mittlerweile Konsens darüber gab, dass das ZNS unter konstanter Immunüberwachung steht, die im meningealen Kompartiment abläuft, waren die Steuerungsmechanismen für die Ein- und Ausfuhr von Immunzellen im ZNS weiterhin unklar. Auf der Suche nach Ein- und Austrittspforten für T-Zellen in den Meningen entdeckten Forscher der School of Medicine an der University of Virginia 2015 funktionelle Lymphgefäße, die die duralen Sinus auskleiden (National Institutes of Health 2015) (Abb. 1 und 2).
Die Gefäßstrukturen zeigen alle molekularen Eigenschaften lymphatischer Endothelzellen. Diese Lymphgefäße befördern die Abfallprodukte mit Abfluss von Liquor cerebrospinalis (LCS) aus dem glymphatischen System weiter. Sie können Flüssigkeit und Immunzellen aus dem zerebrospinalen Liquor transportieren und sind mit den tiefen zervikalen Lymphknoten verbunden. Es ist jedoch auch bekannt, dass die kardiale Pulsation nicht mehr als 15–25% der Antriebsenergie liefert, folglich müssen weitere Mechanismen für die konvektiven LCS-Flussdynamiken verantwortlich sein (Kiviniemi et al. 2016).
Durch die komplexe anatomische Architektur des Virchow-Robin-Raums (VRS, Abb. 3) ist ein bidirektionaler fluidaler Austausch zwischen dem VRS und dem Extrazellularraum des Gehirns sowie auch dem Subarachnoidalraum (blaue Pfeile). Die Membranen der Gliazellen (blaue Linien) und denen der Pia mater (gelbe Linien) umschließen den VRS und kontrollieren damit den Flüssigkeitsaustausch. Es sollte beachtet werden, dass es keinen Konsens darüber gibt, ob der VRS einen offenen, flüssigkeitsgefüllten Raum darstellt. Sowohl die experimentellen als auch die klinischen Erkenntnisse sprechen für einen Pfad für die Drainage der ISF entlang der Basalmembranen von Kapillaren, Arteriolen und Arterien, der in das lymphatische System mündet (rote Linien und grüne Pfeile). Weiterhin unklar bleibt die Bedeutung der die Arterien und Venen umgebenden Perivaskularräume unterhalb der Pia mater (hellblau). Eventuell dienen sie als zusätzliche Abflussbahnen. Weiterhin steht zur Diskussion, ob die glymphatischen Wege die arteriellen und venösen Virchow-Robin-Räume mit den venösen perivaskulären Räumen (schwarze Pfeile) verbinden (Brinker et al. 2014).
Abb. 1: Übersichtstafel zu dem Lymphsystem: alt (a) und ein Update (b), um die neuen Erkenntnisse zu illustrieren. © University of Virginia Health System Aus: https://www.nih.gov/news-events/nih-research-matters/lymphatic-vessels-discovered-central-nervous-system
Abb. 2: Schematische Darstellung des von Aleksander Aspel und und Kollegen neu entdeckten intrameningealen lymphatischen Netzwerks. a Es war bekannt, dass die Lymphgefäße der Nasenschleimhaut an der Drainage des Liquors beteiligt sind, allerdings ging man davon aus, dass diese lymphatischen Wege sich nicht ins Gehirn fortsetzen. b, c Aufgrund der neuesten Erkenntnisse wird nun vermutet, dass das intradurale Lymphsystem wichtig für den Abfluss von interstitieller Flüssigkeit, Makromolekülen und Liquor cerebrospinalis des Gehirns ist. Abbildung Kari Alitalo
Abb. 3: Fluidbewegung im Virchow-Robin-Raum, Erläuterungen siehe Fließtext. SAS Subarachnoidalraum, VRS Virchow-Robin-Raum, Brain ECS Extrazellularraum des Gehirns, V Vene, A Arterie
Louveau A et al Structural and functional features of central nervous system lymphatic vessels. Nature. Letter. 523, (16 July 2015) 337–341. doi:10.1038/nature14432
Abbildung: Verbindung zwischen glymphatischen System und dem meningealen Lymphsystem. Schematische Darstellung der Verknüpfung zwischen dem glymphatischen System, was die interstitielle Flüssigkeit aus dem Parenchym des ZNS in den zerebrospinalen Liquor leitet, und den neu entdeckten intrameningealen Lymphgefäßen.
Klinische Relevanz
Die Entdeckung des lymphatischen Systems im zentralen Nervensystem sollte dazu aufrufen, die Grundannahmen zur Neuroimmunologie zu überprüfen. Sie wirft darüber hinaus ein neues Licht auf die Erforschung und Behandlung von neuroinflammatorischen und neurodegenerativen Erkrankungen, die mit Immunprozessen assoziiert sind, wie Autismus, Alzheimer-Demenz und multiple Sklerose. Zudem könnten sich neue Möglichkeiten osteopathischer Behandlungen ergeben. So könnte möglicherweise mittels manueller lymphatischer Drainage des Halses, insbesondere der tiefen zervikalen Lymphknoten, und mittels der Behandlung der meningealen Strukturen des Gehirns die lymphatische Drainage im Gehirn verbessert werden. Weitere Untersuchungen sind hier notwendig, um diese Hypothese näher zu untersuchen.
Immunprivileg des ZNS
Das Immunprivileg des ZNS lässt sich laut Engelhardt et al. (2016) durch folgende Aspekte beschreiben:
- Antigenpräsentierende Zellen können nur durch Lymphdrainage des LCS zu regionalen Lymphknoten transportiert werden.
- Plasmafiltrate können nicht frei über die Blut-Hirn-Schranke oder die Blut-LCS-Schranke diffundieren, um ins ZNS zu gelangen.
- Der Zugang von Lymphozyten und anderen Entzündungszellen zum ZNS ist durch eine Blut-Hirn-Schranke und eine Blut-LCS-Schranke beschränkt. Der Zugang zum peripheren Gewebe dagegen ist weniger eingeschränkt. Polymorphkernige Leukozyten treten häufig als Reaktion auf bakterielle oder Pilzinfektionen auf und gelangen ebenfalls nicht direkt ins ZNS.
- Im Parenchym des ZNS selbst finden sich keine T-Zellen, jedoch in ventrikulären und subarachnoidalen Bereichen.
- Die Antigenpräsentation beim Fehlen von entzündungsfördernden Stimuli ist dadurch eingeschränkt, dass Expression von MHC („major histocompatibility complex“) der Klasse I und II im ZNS-Parenchym fehlt.
- Mikrogliazellen entstammen dem Dottersack und wandern während der fetalen Entwicklung ins ZNS. Sie übernehmen verschiedene Funktionen antigenpräsentierender Zellen in den perivaskulären Bereichen des ZNS und im LCS.
Osteopathische Zugänge
Die Behandlung ist darauf ausgerichtet, die venöse und lymphatische Drainage im Gehirn zu unterstützen. Dies kann intrakranial über die Behandlung der Sinus venosi, der Dura, der Ventrikel und des Subarachnoidalraums (Zisternen) durchgeführt werden, ebenso über lymphatische Verbindungen zu den Hirnnerven im Bereich der Nase, des Auges, des Ohres und nervaler Strukturen im Bereich des Foramen jugulare sowie mittels tiefer zervikaler Lymphgefäße. Auch der venöse Abfluss sollte auf Engstellen untersucht und in seinem Fluss unterstützt werden.
Ansätze zum Ausgleich des autonomen Nervensystems begünstigen vagale Zustände, zur Stimulation der Produktion des Liquor cerebrospinalis und zur Begünstigung der Drainage des Gehirns. Im klinischen Kontext ist es außerdem bedeutsam, auf ausreichend Schlaf zu achten (Moser u. Liem 2017). Im Folgenden werden mögliche osteopathische Zugänge beschrieben.
Sinus-venosus-Technik nach Frymann und Liem
Diese Techniken könnten nicht nur den Rückfluss des LCS in das venöse System begünstigen, sondern möglicherweise auch die Lymphgefäße des Gehirns stimulieren (Liem 2013).
Venöse Drainage
Foramen jugulare
Der Therapeut befindet sich am Kopfende des Patienten.
Handposition:
- Die Hand – kontralateral zur behandelnden Seite – umgreift das Os occipitale. Zeige-, Mittel- und Ringfinger befinden sich unmittelbar posterior der Sutura occipitomastoidea.
- Kaudale Hand: Mittelfinger im Meatus acusticus externus, Ringfinger auf der Spitze des Processus mastoideus, kleiner Finger auf der Pars mastoidea, Zeigefinger und Daumen umgreifen den Processus zygomaticus
Ausführung:
- Ein „Disengagement“ zwischen Os temporale und Os occipitale ausüben mit besonderem Fokus auf dem Foramen jugulare. Am Os temporale wird ein Zug nach anterior superior ausgeübt, am Os occipitale ein sanfter Zug nach posterior inferior.
- Gleichzeitig wird am Os temporale ein Spannungsgleichgewicht zwischen Außenrotation (posteromedialer Druck mit dem Ringfinger) und Innenrotation (posteromedialer Druck mit dem kleinen Finger) sowie anteriorer und posteriorer eine Rotation durchgeführt.
- Am Os occipitale wird ein Gleichgewicht zwischen Flexion und Extension eingestellt.
Abb. Foramen-jugulare-Technik
Vena jugularis interna
Handposition: Die Mittelfinger beider Hände werden mit ihren Fingerbeeren medial des M. sternocleidomastoideus posterior der Klavikula, lateral der Articulatio sternoclavicularis positioniert. Die Vene befindet sich lateral der A. carotis communis.
Ausführung:
- Es wird eine divergente longitudinale Traktion ausgeführt, bis die Gewebebarriere wahrnehmbar wird. Möglich ist auch, mit dem kranialen Finger zu fixieren und mit dem kaudalen Finger eine Traktion auszuüben.
- Die Spannung wird gehalten und Mikrobewegungen zwischen Vena jugularis interna und Umgebung bzw. umliegender Gewebe werden zugelassen, bis eine Entspannung auftritt und eine bessere Gleitfähigkeit der Vene wahrgenommen wird.
Abb. Technik Vena jugularis interna
Vena jugularis externa
Handposition: Ein Mittelfinger befindet sich posterior des Angulus mandibulare auf der Vene. Der andere Mittelfinger ist oberhalb der Mitte der Klavikula im kaudalen Bereich der Vene positioniert.
Ausführung: Entsprechend der Technik für die V. jugularis interna
Abb. Vena jugularis externa
Plexus basilaris, Sinus marginalis
Handposition: Die Mittel-, Zeige- und Ringfinger beider Hände werden von posterior und von den Seiten so nah wie möglich an das Foramen magnum positioniert.
Ausführung: Die Finger üben einen auf den Plexus basilaris am Clivus und zum Sinus marginalis um das Foramen magnum des Okziputs gerichteten rhythmischen Druck aus. Ziel ist es, den venösen Abfluss aus den Sinus petrosi superior und inferior und aus den Sinus cavernosus in den Plexus basilaris und weiter in den Sinus marginalis zu unterstützen.
Abb. Technik für den Plexus basilaris und Sinus marginalis
Ausgleich des autonomen Nervensystems
Dieser erfolgt z.B. durch Etablierung eines osteopathischen „felt sense“ oder durch die Technik der „herzfokussierten Palpation“ (siehe Liem 2017).
Ventrikel
Kompression des 4. Ventrikels (CV-4): Dieser wirkt laut Magoun als lymphatische Pumpe (Magoun 1976) und soll allgemein zu einer verbesserten Versorgung der Zellen, zu einer verbesserten Lymphbewegung und zu einer Regeneration der Gewebe sowie zu einer Stimulation der Hirnnervenkerne im Bereich des 4. Ventrikels führen.
Auch die Kompression der Seitenventrikel und des 3. Ventrikels sind möglich (Liem 2013).
Drainage der Zisternen
Es können auch Drainagetechniken für die Zisternen, z.B. die Cisterna cerebellomedularis, durchgeführt werden. Hierfür werden die kleinen Finger oder/und Ringfinger unterhalb des Inions und die Daumen posterior des Porus acusticus externus aufgelegt. Dann wird ein rhythmischer Druck auf die Cisterna cerebellomedullaris ausgeübt, d.h. auf den Raum zwischen Kleinhirn und Medulla. PHOTO
Abb: Drainage der Cisterna cerebellomedularis
Durale Techniken
Hierzu gehört z.B. die Drainagetechnik des Sulcus sinus sagittalis superior. Diese Techniken werden mit dem Ziel angewendet, den Lymphabfluss und LCS-Rückfluss in den duralen Sinus zu stimulieren. Dafür werden Zeigefinger und Daumen entlang des Sulcus sinus sagittalis superior am Os frontale, parietale und Os occipitale aufgelegt. Die Daumen berühren sich dabei. Es wird eine anteroposteriore und kraniokaudale rhythmische Kompression und Dekompression auf das durale Sinussystem durchgeführt. PHOTO
Abb: Falx-Technik für die Drainage des Sulcus sinus superior
Für die Behandlung des Sulcus sinus transversus, des Sulcus sinus sigmoideus und petrosus superior können die Finger entlang des Ansatzes des Tentoriums aufgelegt werden und die Sinus rhythmisch drainiert werden (Photo). Für weitere durale Techniken siehe Liem (2013).
Abb: Tentorium-Technik für die Drainage des Sulcus sinus transversus, sigmoideus und petrosus superior
OA-Release
Zur Verbesserung des venolymphatischen Abflusses aus dem Kopfbereich, siehe Liem (2013).
Pumptechnik am Kranium
Die Technik nach Bjornas (persönliche Kommunikation des Autors mit Kjell Erling Bjornaes 2017) dient der Stimulierung des Lymphflusses. Beide Hände umfassen den Schädel, die Daumen liegen beidseits entlang der Sutura sagittalis, Zeige- und Mittelfinger anterior vor dem Ohr, Ringfinger auf der Sutura occipitomastoidea und der Kleinfinger auf dem Os occipitale. Es wird ein sanfter, intermittierender Druck mit einer Frequenz von 10- bis 12-mal pro Minute für etwa drei Minuten ausgeübt. Gegebenenfalls müssen die Venenwinkel im Bereich der Klavikulae und der 1. Rippe befreit werden.
Abb: Pumptechnik am Kranium
Tiefe zervikale Lymphknoten und allgemeine Lymphflussverbesserung
Die lymphatischen Drainagetechniken der tiefen zervikalen Lymphknoten und zur allgemeinen Lymphflussverbesserung im Kopfbereich werden hier angewendet, um – unter Berücksichtigung der LCS-Lymphe-Verbindung (s.o.) – die Drainage zu verbessern. Kontraindikationen für lymphatische Pumptechniken sind:
- nicht behandelter maligner Tumor
- akute Entzündungen mit Fieber
- Thrombose
- dekompensierte Herzinsuffizienz
Drainage der tiefen zervikalen Lymphgefäße: Um die tiefen Lymphgefäße zu drainieren, kann der Nacken alternierend komprimiert und dekomprimiert werden, in Kombination mit Seitneigungs- und Rotationsbewegungen im Nacken. Dies fünfmal wiederholen (wichtig dabei ist es vor allem, alternierende Bewegungen im Bereich des Nackens fünfmal zu wiederholen [persönliche Kommunikation des Autors mit Jean-Paul Belgrado 2017]).
Abb: Drainage der tiefen zervikalen Lymphgefäße
- Venolymphatische Pumptechnik an der Klavikula: Dabei wird auf das mediale Ende der Klavikula eine rhythmische Pumpbewegung ausgeübt, während er Kopf in leichter Extension und kontralateraler stabilisiert wird (Liem 2010).
Allgemeine Lymphflussverbesserung im Kopfbereich: Der effizienteste Druck, um Flüssigkeit des Interstitiums in das initiale lymphatische Netzwerk zu drainieren, beträgt etwa 60–80 mmHg. Das ist mehr Druck, als normalerweise bei lymphatischen Techniken ausübt werden (persönliche Kommunikation des Autors mit Jean-Paul Belgrado 2015). In einer Pilotstudie von Roth et al. (2016) konnte erstmals mittels einer kraniozervikalen manuellen Lymphdrainage der Hirndruck bei akuten Hirnerkrankungen gesenkt werden.
- Die Finger beidseits supraklavikulär auflegen. Während der Nacken herausgestreckt wird, üben die Finger sanften Druck in die Region des lymphatischen Rückflusses aus. Zusätzlich könnte ein Unterdruck erzeugt werden, indem mit dem Brustkorb eine Einatembewegung ausgeführt wird, ohne dabei Luft einzuatmen.
- Anschließend je dreimal am Gesicht, seitlich am Kopf und am Hinterkopf von kranial nach kaudal Richtung medialer Klavikula die Lymphe drainieren.
- Vom Bauchnabel Richtung Manubrium nach kranial drainieren.
Diese Abfolge kann dem Patienten auch als Selbsthilfetechnik gezeigt werden. Schon die Bewegung der Haut reicht aus, um den Lymphfluss um das 20-Fache zu erhöhen (Ikomi et al. 1985).
Selbsthilfetechnik zur Anregung des Lymphflusses: Zunge an den Gaumen legen. Nachdem einmal tief ein- und komplett ausgeatmet wurde, wird mit dem Brustkorb eine Einatembewegung ausgeführt, ohne dabei Luft einzuatmen. Dadurch wird ein Unterdruck im Thorax erzeugt und der Lymphfluss angeregt.
Lymphatische Pumpe im Brust- und Bauchbereich und an den Füßen: zur Anregung des gesamten Lymphsystems (siehe Liem 2013).
Drainage der Nase
Hier werden auch die Chapman-Reflexe der Nase getestet: anterior: 2. Rippenknorpel und 1. Interkostalraum, etwa 8 cm lateral vom Sternum, posterior: Mitte zwischen Processus spinosus und Processus transversus des Axis (Liem 2010)
Abb: Chapman-Reflexe für die Nase
Behandlung einer Mundatmung: Beispielsweise kann mit Zeigefinger und Daumen die Nasenwurzel umfasst werden, mit der anderen Hand werden die Nasenflügel gefasst, um eine rhythmische Drainage zu induzieren.
Rhythmische Drainagetechnik im Bereich der Lamina cribrosa: Alternative Technik für die Lamina cribrosa finden sich zum Beispiel bei Liem (2010).
Drainagetechnik für den N. olfactorius: Zunächst wird hochzervikal eine Flexion und eine kontralaterale Seitneigung der HWS eingestellt. In dieser Voreinstellung werden das Os ethmoidale im Bereich der Lamina cribrosa, die Nasenscheidewand und/oder die Conchae rhythmisch komprimiert und dekomprimiert.
Drainage des Ohres
Ohrzugtechnik: Drainage durch rhythmischen Zug an der Ohrmuschel nach kaudal, posterior oder kranial.
Drainagetechnik für den N. vestibulocochlearis: Zunächst wird hochzervikal eine Flexion und eine kontralaterale Seitneigung der HWS eingestellt. In dieser Voreinstellung werden anschließend rhythmische Kompressionen und Dekompressionen am Os temporale, v.a. am Mastoid bzw. an der Pars petrosa, am Os occipitale und Os sphenoidale durchgeführt.
Hirnnerven
Drainage der Hirnnerven IX, X, XI: Es wird zunächst hochzervikal eine Flexion und eine kontralaterale Seitneigung der HWS eingestellt. Anschließend werden einseitig rhythmisch die jeweiligen Hirnnervenscheiden drainiert.
Drainage der oberen Zervikalnerven und -nervenscheiden: Die Zeige-, Mittel- und Ringfinger werden nahe der Foramina vertebralia der oberen Zervikalnerven platziert. Unter rhythmischer Flexion und Extension des Halses werden gleichzeitig rhythmisch ein sanfter homolateraler kranialer Zug und eine homolaterale Rotation zur Seite der Drainage ausgeübt (Liem 2017).
Photo: Drainage der oberen Zervikalnerven und -scheiden
Weitere Techniken: Eine Entstauung von Pharynx und Tonsillen (Liem 2010) sowie Technik der A. carotis interna und A. vertebralis (Liem 2013) können ebenfalls angewendet werden.
Laut Still konnte das fasziallymphatische System stimuliert werden, indem mittels Einfluss über die Nerven auf den Blutkreislauf eingewirkt wurde. (Still 1902).
Korrespondenzadresse:
Torsten Liem
Osteopathie Schule Deutschland
Weidestraße 118 c
22083 Hamburg
Literatur
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