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Wirk­mechanismen bei der Ver­besserung von somatischen Schmerzen und Funktions­ein­schränkungen nach einer osteopathischen Be­handlung

Ein Mann erhält in einer Osteopathie-Klinik in Hamburg eine therapeutische Rückenmassage.
Wirk­mechanismen bei der Ver­besserung von somatischen Schmerzen und Funktions­ein­schränkungen nach einer osteopathischen Be­handlung

Die osteopathische Manipulations­therapie (OMT) stellt den Überbegriff für alle Techniken der Osteopathie dar. Dazu gehören der myofasziale Release, die craniosakrale Behandlung, High-Velocity-Low-Amplitude-Manipulationen (HVLA) sowie Minimal-Lever-Manipulationen, Balanced-Ligamentous-Tension (BLT), Muskel-Energie-Techniken, Biodynamik, Strain/Counterstrain, viszerale Manipulation, usw. (Cerritelli et al. 2011).

Dieses breite Spektrum an manuellen Techniken erlaubt eine individuelle Wahl der am besten geeignesten Technik zur Optimierung der Funktion und Linderung der Schmerzen.

Einem nationalen Pilotprojekt mit standardisierter Datenerhebung in England zufolge kommen PatientInnen am häufigsten mit Schmerzen in der Lendenwirbelsäule (LWS), gefolgt von Hals­wirbelsäulen-Symptomen, Schmerzen im Becken- und Lenden­bereich sowie Kopf- und Gesichts­schmerzen, Schulter­problemen und schmerzender Brustwirbelsäule in die osteopathische Praxis. Dabei bringen sie häufig sog. Komorbiditäten (zusätzliche, weitere Erkrankungen) mit, wie z.B. Blut­hochdruck, Asthma oder Arthritis (Fawkes et al. 2014). 

Anders als die klassische Schul­medizin konzentriert sich die Osteopathie allerdings auf die Förderung der allgemeinen Gesundheit und sucht immer die Gesundheit im Organismus und nicht die Krankheit. Neben der manuellen Therapie sind auch das therapeutische Gespräch und die ausführliche Anamnese, welche auch bio­psychosoziale Aspekte erfragt, zentral bei einer osteopathischen Behandlung. So unterstützen OsteopathInnen ihre PatientInnen bei Themen wie der Etablierung und Aufrecht­erhaltung eines gesunden Lebens­stils mit genügend Bewegung und gesunder Ernährung (Fryer 2017).

Menschen mit chronischen Schmerzen und Funktions­einschränkungen leiden zusätzlich häufig unter Angst­zuständen und Depressionen, welche einen negativen Einfluss auf das Sozial-, Freizeit- und Arbeitsleben nehmen. Diese Auswirkungen lassen sich mit dem biomedizinischen Rahmen kaum erklären, weshalb das bio­psychosoziale Modell für chronische Schmerzen entwickelt wurde. Es umfasst körperliche, psychologische, pädagogische und sozialer bzw. arbeitsbezogene Einflüsse und versucht alle Facetten der Störung miteinzubeziehen. Daraus abgeleitete multi­disziplinären Interventionen werden dann von einem Team von Fachpersonal aus den verschiedenen Gesundheitsbereichen durchgeführt. Bereits im Jahr 2015 kam eine hochwertige Meta-Analyse der Cochrane Collaboration zu dem Ergebnis, dass multi­disziplinäre bio­psychosoziale Rehabilitations­maßnahmen bei der Verringerung von Schmerzen und Funktionsstörungen bei Menschen mit chronischen Kreuzschmerzen wirksamer als die Standard-Versorgung sind. 

 

Wie unterscheiden sich akute von chronischen Schmerzen?

Akuter Schmerz ist definiert als ein Schmerz von geringer Dauer, welcher durch noxische (gewebe­schädigende) Reize ausgelöst wird. Dazu gehören exogene Reize (wie z.B. große Hitze) und endogene Störungen (z.B. Entzündungen), welche beide in der Lage sind die Nozizeptoren zu aktivieren und die typische Erfahrung von nozizeptiven Schmerz auslösen (Kröner-Herwig 2011). Jedoch ist Schmerz keine rein körperliche Erfahrung, sondern eine bewusste Wahrnehmung, die durch das Gehirn und die Psyche moduliert wird. Angst oder das Gefühl von Bedrohung lösen im Gehirn eine verstärkte Schmerz­wahrnehmung aus (Moseley et Flor 2012). 

 

Von chronischen Schmerzen spricht man dann, wenn der Schmerz länger als 6 Monate andauert und keine direkte Ursache (wie eine Gewebeschädigung) mehr als Auslöser erkennbar ist (Kröner-Herwig 2011). Dazu kann es kommen, wenn der noxische Reiz so intensiv oder auch andauernd ist, dass es zu einer Sensibilisierung des zentralen Nervensystems (ZNS) kommt. Im Rückenmark befindet sich das 2. Neuron der nozizeptiven Schmerzbahn, welche dann in höhere Zentren im Gehirn führt, in denen sich das 3. Neuron befindet. Bei lang­anhaltenden Schmerzen kommt es in diesen Neuronen zu neuro­plastischen Veränderungen, die zu einer Übererregbarkeit und einer erhöhten synaptischen Wirksamkeit führen. Diesen Prozess nennt man auch zentrale Sensibiblierung. So kommt es zu übertriebenen Schmerzreaktionen auf normalerweise nicht schmerzhafte Reize, obwohl die ursprüngliche Gewebe­schädigung durch Noxen längst verheilt ist. Chronischer Schmerz nimmt seinen Ursprung also im ZNS (Esmaili et al. 2016). Neben dem Sensibilisierungs-prozess spielen jedoch auch periphere Noxen mit eine Rolle beim Erleben von chronischen Schmerzen.

Auch im Gehirn selbst findet bei einer Chronifizierung von Schmerz eine Umstrukturierung statt: Die Aktivität in schmerz­bezogenen Hirnregionen wie der Insula, dem anterioren cingulären Gyrus und dem Thalamus nimmt ab, und emotionsbasierte Hirn­schaltungen, an denen der mediale präfrontale Kortex, die Amygdala und die Basalganglien beteiligt sind, werden stärker (Hashmi et al. 2013). Dadurch kann es zu Störungen der Propiozeption (Wahrnehmung des Körpers im Raum) und der motorischen Kontrolle kommen (Moseley et Flor 2012). Darüber hinaus spielen auch psychosoziale Faktoren eine wichtige Rolle bei dem Übergang von akuten zu chronischem Schmerz (Shaw et al. 2016).

 

Wie betrachtet die Osteopathie chronische Schmerzen?

Die Forschung der letzten Jahre konnte zeigen, dass das zentrale Nervensystem und die Psyche einen Einfluss auf chronische Schmerzen nehmen, während Nachweise für gewebe­bedingte, haltungs­bedingte oder bio­mechanische Ursachen fehlen. 

Die Osteopathie entwickelte sich zu einer Zeit, in der noch das biomedizinische Paradigma vorherrschend war, was wir bis heute in der Verwendung des Begriffs „osteopathische Läsion“ bemerken. Mehr Informationen über die Entstehung der Osteopathie finden Sie hier: XXX (Link vom Artikel über „Osteopathische Läsion“ einfügen)

Viele Osteopathie-Schulen folgen strikt den traditionellen Konzepten Still, Littlejohn & Co, während modernere Institutionen die alten Konzepte im Lichte aktueller wissen­schaftlicher Erkenntnisse umfassend hinterfragen und weiterentwickeln und die Osteopathie auch aus einer evidenz­basierten Perspektive zu betrachten.

OsteopathInnen der alten Schule betrachten manipulative Techniken als Korrektur einer veränderten Biomechanik und eingeschränkter Bewegung und erklären den Schmerz einer Person eher mit pathologischen und biomechanischen Begriffen als mit neurologischen oder psychosozialen Begriffen. Ist sich die behandelnde Person jedoch darüber bewusst, dass Schmerzen und Bewegungseinschränkungen bei den meisten Menschen mit einer Kombination aus biologischen und psychosozialen Ursachen in unterschiedlicher Dominanz verbunden sind, so kann sie einen Behandlungsplan aufstellen, der die physischen und psychosozialen Komponenten berücksichtigt. Weiterhin sollten OsteopathInnen anerkennen, dass chronische Schmerzen auch das Produkt von dem langen Prozess der zentralen Sensibilisierung des ZNS sein können und keinen geweblichen oder nozizeptiven Ursprung mehr haben. 

 

Welche Mechanismen sind für die Verbesserung von somatischen Schmerzen und Funktions­ein­schränkungen nach einer osteopathischen Behandlung verantwortlich?

 

Die osteopathische Behandlung kann eine Vielzahl biologischer und psychosozialer Faktoren beeinflussen, um Patienten mit akuten oder chronischen somatischen Schmerzen und Bewegungs­einschränkungen zu helfen. Dabei kann die Wirkung einer osteopathischen Behandlung in drei Dimensionen beschrieben werden (Lederman 2005):

 

  1. Gewebemechanismen
    • Förderung der Gewebsheilung, Bewegung und Abfluss von Gewebeflüssigkeit
  2. Neurologische Dimension
    • Stimulation von aufsteigenden, afferenten Geweberezeptoren, um die sensomotorische Integration, Interozeption, Propriozeption und motorische Kontrolle zu erleichtern
  3. Psychologische Dimension
    • Beruhigung, Aufklärung, psychologische Ansätze zur Schmerzbewältigung, verbessertes Vertrauen und Empowerment fördern

 

Dabei sind alle drei Dimensionen eng miteinander verknüpft und eine Behandlung nimmt stets Einfluss auf alle angesprochenen Bereiche, indem sie Veränderungen der Kognition und des psychologischen Zustands herbeiführt. Durch die Modulation der Schmerzwahrnehmung kann es so zu einer Desensibilisierung im Körper kommen. OsteopathInnen können einen starken positiven Einfluss ausüben, indem sie ihre Sprache sorgfältig auswählen, um Menschen, die in ihre Praxis kommen, zu beruhigen, zu stärken und einen positiven Kontext zu vermitteln.

 

Erste klein angelegte osteopathische Studien belegen die Wirkung der osteopathischen Behandlung von Kreuz- und Nackenschmerzen (Franke et al.  2014, 2015). Jedoch benötigen diese Ergebnisse noch die Bestätigung durch viele große RCT-Studien und Meta-Analysen, um wissenschaftliche Aussagekraft zu erreichen. 

Die schmerzlindernde Wirkung und Verringerung der Druckschmerzempfindlichkeit von weiteren manuellen Techniken, wie Wirbelsäulenmanipulationen, Gelenksbehandlungen, Mobilisierung und Massage, sind gut belegt. Es gibt sogar Studien, die nachweisen, dass Berührungen allein Schmerzen reduzieren können. Es wird angenommen, dass die sog. C-Fasern, die optimal auf sanfte Berührungen reagieren, dafür verantwortlich sind und eine wichtige Rolle bei der Wirksamkeit manueller Therapien spielen. Bei den Mechanismen, die für die Verbesserung von chronischen Schmerzen verantwortlich sind, handelt es sich wahrscheinlich um eine Kombination aus kurzfristigen Gewebemechanismen und längerfristigen neurologischen Mechanismen, die es dem ZNS ermöglichen, die Reize zu desensibilisieren, sowie psychologischen Mechanismen (Fryer 2017).

Literatur

Cerritelli F, Carinci F, Pizzolorusso G, et al. Osteopathic manipulation as a complementary treatment for the prevention of cardiac complications: 12-Months follow-up of intima media and blood pressure on a cohort affected by hypertension. J Bodyw Mov Ther. 2011;15(1):68-74

Esmaili E, Dahlan HM, Desa MI. Model-driven decision support system for estimating number of ambulances required during earthquake disaster relief operation. J Theor Appl Inf Technol. 2016;90(2):86-94

Fawkes CA, Leach CMJ, Mathias S, et al. A profile of osteopathic care in private practices in the United Kingdom: A national pilot using standardised data collection. Man Ther. 2014;19(2):125-130

Franke H, Franke J-D, Fryer G. Osteopathic manipulative treatment for nonspecific low back pain: a systematic review and meta-analysis. BMC Musculoskelet Disord. 2014;15(1):1-18

Franke H, Franke JD, Fryer G. Osteopathic manipulative treatment for chronic nonspecific neck pain: A systematic review and meta-analysis. Int J Osteopath Med. 2015;18(4):255-267

Fryer G. Integrating osteopathic approaches based on biopsychosocial therapeutic mechanisms. Part 1: The mechanisms. Int J Osteopath Med. 2017;25:30-41

Hashmi JA, Baliki MN, Huang L, et al. Shape shifting pain: chronification of back pain shifts brain representation from nociceptive to emotional circuits. Brain. 2013;136(9):2751-2768

Kröner-Herwig B. Schmerz als biopsychosoziales Phänomen – eine Einführung BT  – Schmerzpsychotherapie: Grundlagen – Diagnostik – Krankheitsbilder – Behandlung. In: Kröner-Herwig B, Frettlöh J, Klinger R, et al., eds. Springer Berlin Heidelberg; 2011:3-14.

Lederman E. The Science & Practice of Manual Therapy. Elsevier Health Sciences; 2005

Moseley GL, Flor H. Targeting cortical representations in the treatment of chronic pain: a review. Neurorehabil Neural Repair. 2012;26(6):646-652

Shaw WS, Hartvigsen J, Woiszwillo MJ, et al. Psychological distress in acute low back pain: a review of measurement scales and levels of distress reported in the first 2 months after pain onset. Arch Phys Med Rehabil. 2016;97(9):1573-1587

 

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